Journal



September 2010


Anfang des Monats sind wir nach Berlin gezogen, um ein Probetraining zu absolvieren, und genau ab diesem Punkt möchten wir mit dem Journal beginnen. Es war nicht das erste Mal, dass wir in Berlin waren, aber wirklich wohnen wollten wir hier eigentlich nie. Seit unserer ersten Deutschen Nachwuchsmeisterschaft im Jahre 2000 kannten wir die Stadt und konnten uns nie einen wirklichen Bezug zu ihr aufbauen. Der Charme und das Flair, von dem so viele schwärmen, kamen wohl nie richtig bei uns an. Man kann es noch nicht einmal begründen, und erst durch die Beziehung mit Freundin und Freund besuchten wir die Stadt öfter und freundeten uns langsam mit ihr an. Ein besonderes Erlebnis für uns war außerdem der Aufenthalt 2008 bei Katarina Witts Abschiedstournee. Für drei Tage wohnten wir hier in Berlin und nach den Shows fuhren wir abends immer im Dunkeln durch die Stadt zurück zum Hotel. Nachts ist Berlin wirklich sehr schön. Sicherlich kam noch dazu, dass hier die Premiere der Tournee stattfand und wir auch noch in einem sehr guten Hotel wohnen durften.

Am Wohnheim angekommen wurden wir vom Leiter schon auf dem Parkplatz mit dem Satz: "Denkt dran, immer euer Auto abzuschließen, ihr seid jetzt in Berlin und ich weiß ja nicht, aus welchem Dorf ihr kommt" begrüßt. Etwas irritiert, aber dankbar nahmen wir den Rat an und luden gleich unser ganzes Auto aus. Seitdem unser Fensterheber kaputt ist, ist es ein Leichtes, das Fenster runterzudrücken und das Auto leerzuräumen. Wie recht der Leiter mit seiner Aussage haben sollte, merkten wir schon eine gute Woche später: Zwar wurde unser Auto nicht leergeräumt, aber Unbekannte hatten sich einen Spaß daraus gemacht, nachts die Autos vor dem Wohnheim mit tiefen Kratzern auf den Motorhauben zu verzieren.

Für die ersten zwei Wochen bekamen wir beide ein gemeinsames Zimmer und konnten erst später in unsere aktuellen Einzelzimmer ziehen. Recht spartanisch, aber günstig leben wir jetzt jeder auf ca. 13m² mit Gruppenduschen auf dem Flur und gemeinsamer Küche. Luxus gibt es hier nur sehr wenig, aber die Möglichkeit, sich voll aufs Training zu konzentrieren und schnell andere Sportler kennenzulernen. Der Wohnheimleiter erzählte uns, dass das Haus schon seit langem leergeräumt und saniert werden sollte, jedoch immer wieder neue Sportler kommen, die Unterkunft benötigen. Seit dem Mauerfall hätte sich daher hier noch nicht sehr viel verändert.

Schön war es, dass diesen Monat noch die Dortmunder Mari Vartmann und ihr neuer Partner Aaron Van Cleave sowie Katharina Gierok hier wohnten. Mit den dreien ist es immer lustig und außerdem fühlten wir uns irgendwie ein wenig heimischer.

Sofort am ersten Tag begannen wir mit dem Eistraining, um uns langsam an Berlin zu gewöhnen. Zwar gab es hin und wieder immer wieder Probleme mit den Eiszeiten, da aus technischen Gründen nicht alle Eishallen geöffnet waren und Eishockey, Shorttrack und Eiskunstlaufen um die wenigen Zeiten konkurrierten, aber wir bemerkten, wie es langsam vorwärts ging. Das Basistraining begann und zusätzlich machten wir viel Athletiktraining und Ballett. Die Motivation war groß und die Tage gingen immer viel zu schnell vorbei, weil man gerne noch länger trainiert hätte. Leider erwischte Caro ein Infekt, der sie für ein paar Tage trainingsunfähig machte, und später kamen ihre Knieprobleme zurück, weshalb sie immer wieder hier und dort aussetzten musste. Gerade zu Beginn einer Saison ist dies jedoch normal, da der Körper sich erst wieder an die Belastung gewöhnen muss, weshalb wir uns noch nicht zu viele Sorgen machten. Im Gegenteil waren wir sogar so motiviert, jetzt doch noch schnell einen SD (Short Dance) aufbauen zu wollen und suchten eifrig nach einer geeigneten Musik (die Musik, die wir eigentlich nehmen wollten, hatte bereits ein anderes Paar verwendet).

Kaum hatten wir die Musik gefunden, ergab es sich zufällig, dass ein Choreograph gerade in Dortmund war, und da wir noch zu Gesprächen nach Dortmund mussten, wollten wir dies verbinden und dort den SD aufbauen, um schnell wieder in die Saison einsteigen zu können. Spontan fuhren wir nach Dortmund, um mit dem Einstudieren zu beginnen, doch als wir am Montag aufs Eis gehen wollten, musste Carolina das Training abbrechen, weil ihre Knieschmerzen zu stark geworden waren. Schnellstmöglich fuhr sie zu einem unserer Verbandsärzte, Sven, und ließ neue Röntgenbilder von ihrem Knie machen. Als uns das Ergebnis erreichte, traf uns jedoch der Shock: Ein andauernder Überlastungszustand hat zu einem akuten Reizzustand geführt. Neben diesem Reizzustand kommt hinzu, dass Carolinas Kniescheibe nicht richtig aufsitzt und zusätzlich ihr Knorpel schon sehr stark abgenutzt ist. Mit einer Kur versuchen wir nun, diesen Knorpel wieder aufzubauen und mit zusätzlichem, intensivem Reha-Training die Fehlbelastungen zu minimieren. Wie lange dies genau dauern wird, wissen wir auch noch nicht, jedoch wird die erste Kur ca. 5 Wochen andauern, in denen sie nicht aufs Eis gehen kann. Sollte dies nicht helfen, müssen wir auch eine Operation in Betracht ziehen, hoffen jedoch, dieser entgehen zu können.

Leider hatten wir in all der Eile total vergessen, uns bei der NADA (Nationale Anti Doping Agentur) abzumelden, und als Carolina einen Anruf mit unterdrückter Nummer bekam, meldete sich hier eine freundliche Dopingkontrolleurin. Normalerweise ist es immer unsere Pflicht, im Vorfeld zu melden, wo wir wann sind, damit die Kontrollen unerwartet durchgeführt werden können. Jedoch ist es für uns sehr schwer, genaue Angaben zu machen, und oft wissen wir am Abend noch nicht, wo wir schlafen werden, wenn wir in NRW sind. Die Kontrolleurin gab Carolina ein Zwei-Stunden-Fenster, um zur Kontrolle in Berlin antreten zu können. Selbst mit einem Flugzeug hätten wir dies nicht schaffen können, boten aber an, zu der Kontrolle in 4 Stunden zu kommen (mit dem Zug von Dortmund nach Berlin dauert die Fahrt ca. 3,5h) oder in NRW irgendwo sofort eine Dopingkontrolle abgeben zu können (Krankenhaus, Arzt oder andere offizielle Kontrolleure). Nichts davon wäre von der NADA akzeptiert worden, weshalb Carolina nun einen "Missed Test" bekommt. Das bedeutet, dass sie nun eine Strafe von 90 Euro bezahlen muss und bei einem weiteren "Missed Test" für drei Monate gesperrt wird. Es gibt jeden Grund, ein sicheres Anti-Doping-System umzusetzen, jedoch greift es oft stark in die Privatsphäre der Sportler ein. An jedem Wochentag zwischen 6 und 22 Uhr können Kontrolleure vor der Tür stehen und um ein Pröbchen bitten. Egal, ob beim Sonntagskaffee mit der Familie oder in der Kaserne. Wir im Speziellen neigen sehr zu spontanen Entscheidungen und können oft nicht ganz genau angeben, zu welcher Stunde wir losfahren oder wie lange wir trainieren. Man muss immer erreichbar sein, auch wenn z.B. der Handyakku leer ist.

Am selben Abend fuhren wir dann nach Berlin zurück. Ein paar Tage später kam Herr Skotnicky noch für ein paar Tage nach Berlin, jedoch konnte Carolina auch jetzt nicht trainieren. Nichtsdestotrotz macht es Spaß, wieder zu trainieren und zu wissen, dass es irgendwie langsam vorwärts geht...

Viele Grüße,

Carolina und Daniel


P.S. Das chinesische Schriftzeichen für Krise soll angeblich dasselbe sein wie für Chance.

Wir möchten uns für die vielen netten und motivierenden Mails bedanken. Es hat uns wirklich gefreut, wie viele Menschen sich um uns gesorgt haben und sogar bereit wären, uns zu helfen.

 




 

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