Journal
Juni 2009
In den letzten vier Wochen ist vielleicht nichts wirklich Spektakuläres passiert, jedoch gibt es trotzdem genug zu erzählen. Zuerst einmal bin ich heile und gesund von meinen vier Wochen Grundausbildung wiedergekommen und war heilfroh, endlich wieder auf dem Eis und nicht in der Kaserne sein zu können. Im nächsten Jahr werde ich noch einmal und dann zusammen mit Daniel ein paar Wochen die Schlittschuhe gegen Lederstiefel und meine schönen Eislaufkleider gegen einen grünen-tarnfarbenen Feldanzug tauschen. Daniel wird zum 1. Oktober der Sportfördergruppe beitreten und dann im Folgefrühjahr seine Grundausbildung durchlaufen. Wegen des Olympischen Jahres durfte ich die meinige über zwei Jahre verteilen und werde dann mit ihm zusammen die zweite Hälfte mitmachen.
Die Sportfördergruppe der Bundeswehr unterstützt und fördert die Sportler so sehr, dass man als Sportler ruhig mal einen Blick ins Militärische werfen kann. Ein normaler Tag in der Kaserne beginnt mit einem liebevollen "IV. Zug aauuffsteeeheen" um 4.55 Uhr in der Früh. Um 5 Uhr muss dann jeder im blauen Trainingsanzug antreten, damit die Anwesenheit überprüft und Krankheiten gemeldet werden können. Dienstunterbrechung ist sehr unterschiedlich, manchmal gibt es gar keine, doch wenn wir Glück hatten, konnten wir die Zeit zwischen Abendessen (16.30 Uhr!!!) und Antreten zum Stuben-Revierreinigen (21.30 Uhr) privat nutzen. Jedoch war das nur sehr selten, meistens ging es nach dem Abendessen weiter mit der Ausbildung. Wenig Schlaf und körperliche Belastungen, die man nicht gewohnt ist, bestimmen den Alltag.
Dementsprechend war ich froh nach der Zeit mich in unsere Choreographie der Programme stürzen zu können. Zwischendurch gab es auch immer noch kleine Überraschungen, so haben wir uns sehr über die Rosen und Schokolade gefreut, die wir anlässlich unserer erfolgreichen vergangenen Saison von verschiedenen Freunden aus der Eishalle bekommen haben.
Das vergangene Jahr ist wirklich ein ganz besonderes für uns gewesen, nicht nur wegen der Erfolge, die wir erreichen konnten, sondern auch wegen der vielen Kleinigkeiten, die im Alltag passiert sind.
Wir werden alles dafür geben, an die Erfolge im nächsten Jahr anzuknüpfen, doch zuerst einmal müssen wir uns um die Saisonvorbereitung und Daniel um seinen Universitätsabschluss kümmern.
Immerhin hat er es im vergangenen Monat geschafft, seine fehlenden Prüfungen nachzuholen und bei Präsentationen und Ähnlichem schon vorzuarbeiten.
Musiken, Choreographie, Kostüme, Sommertrainingslager, Saisonplanung... oftmals ist die "Nebensaison" mindestens genauso stressig wie der Wettkampfszeitraum.
Da wirken manche Neuigkeiten wirklich motivierend, wie z.B. dass wir ins Top Team der Sportstiftung NRW einberufen wurden und für die Deutsche Eislauf-Union im nächsten Jahr im Olympiakader an den Start gehen werden. Vielleicht schaffen wir es als deutsches Team ja nächstes Jahr auch zur World Team Trophy. Dort dürfen die besten sechs Nationen an den Start gehen und jeweils zwei Herren, zwei Damen, ein Paarlauf- und ein Eistanzpaar an den Start schicken. Die Qualifikation sind die Weltmeisterschaften, hierbei werden den Platzierungen entsprechend Punkte vergeben und die Nationen mit den meisten dürfen fahren. Der Wettbewerb wurde dieses Jahr in Tokio ausgetragen, nur leider haben wir die Qualifikation knapp verpasst. Nach den USA, Kanada, Japan, Russland und Frankreich hatte China die Nase knapp vor Italien und eben Deutschland und konnte sich so qualifizieren.
Letzte Woche waren wir mit einem Bekannten im Circus Roncalli. Wir hatten wirklich Glück mit unseren Karten uns saßen in einer Loge in der ersten Reihe. Der Circus Roncalli besteht seit fast 3 Jahrzehnten und bietet ein wirklich hervorragendes und unterhaltsames Programm. Die Manege wirkt im Vergleich zu einer Eisbahn nur winzig klein. Jedoch hat Zirkus meiner Meinung nach sowieso einen ganz anderen Charme als Eiskunstlauf. Das diesjährige Programm besteht aus verschiedensten Shownummern, die für den Zuschauer mal mehr, mal weniger schlüssig zusammengestellt sind. Nur wenige würde ich als eher unspektakulär bezeichnen, bei den meisten saßen wir mit staunendem Blick da und genossen die Show. Da wir auch etwas Showbühnenerfahrung haben, konnten wir uns ab und zu einen Vergleich nicht verkneifen. Unser persönliches Highlight war sicherlich, dass wir aus dem Publikum ausgewählt wurden, um vorne in der Manege in die Show eingebunden zu werden. Eigentlich war ich immer überzeugt gewesen, dass so etwas nicht "echt" ist und die ausgewählten Personen gar keine Zuschauer, sondern Mitarbeiter des Zirkus seien. Doch nun wurde ich vom Gegenteil überzeugt. Ich wurde Teil der Teller-Schmeiß-Nummer vom "dummen August" alias David Larible.
Die Nummer ist sehr bekannt und fast jeder kennt sie, doch wenn man selber in der Manege steht, ist es ganz und gar nicht langweilig. Ich hab mein Bestes gegeben und muss aber zugeben, dass es ein ganz anderes Gefühl ist auf einer Bühne zu stehen und nicht zu wissen, was als nächstes kommt, anstatt ein festes Programm durchlaufen zu können.
Daniel wurde auch aufgefordert, in der Manege einer etwa Mitte dreißigjährigen russischen Schönheit im Paradiesvogelkostüm den Hof zu machen. Mit dem Charme eines Witzbolds konnte er sie davon überzeugen, mit ihm hinter der Bühne zu verschwinden. Oder vielmehr ist sie mit ihm hinter der Bühne verschwunden und, wie er später erzählte, hat er sie auch direkt dort stehen lassen und ist im Laufschritt verschwunden. Währendessen hatte sich der dumme August erlaubt, im Amor-Kostüm sich auf Daniels Stuhl breit zu machen, sodass er quasi auf meinem Schoß saß. Ich vermute mal, dass er dachte, wir seien ein Paar und nicht Bruder und Schwester. Später wurden wir beide zum Finale noch einmal aufgefordert, mit Artisten einen Abschlusswalzer zu tanzen.
Leider wird unsere Eishalle ab dem 1. Juni das Eis abtauen und da wir auf Grund von Daniels Prüfungen in der Uni noch hier gebunden sind, können wir erst ab Juli ins Trainingslager fahren. Da bleibt uns für einen Monat nur Eis essen und leider nicht Eis laufen, aber wir werden das Beste aus der Situation machen und uns auf Konditions-, Athletik-, Akrobatik-, und Balletttraining konzentrieren. Anschließend wird es für uns wieder nach Vancouver gehen, um mit Victor Kraatz und seiner Frau Maikki an den Programmen zu arbeiten.
Wie Daniel im letzten Journaleintrag berichtete, konnte er sich im April ein wenig ausruhen und Kraft für die nächste Saison holen, für mich war das leider noch nicht möglich, aber ich werde mein Bestes geben und im nächsten Monat, wenn Daniel im Prüfungsstress ist, mal ein wenig Energie tanken.
Seit wenigen Tagen wissen wir, dass wir einen der begehrten Grand-Prix-Startplätze zugeteilt bekommen haben. Im vergangenen Jahr war das leider nicht der Fall gewesen, und darum freuen wir uns umso mehr, dass es für uns Ende Oktober nach Moskau gehen wird.
Carolina
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